Sinn der körperlichen Untersuchung

Gyn-Depesche 3/2017

Keine Evidenz gefunden, aber was nun?

Die Evidenz und damit Sinnhaftigkeit von Vorsorgeuntersuchungen wird immer wieder hinterfragt – so nun auch von der unabhängigen „US-Evidenz-Autorität“ USPSTF in Bezug auf die regelmäßige körperliche gynäkologische Untersuchung (pelvic exam). Man fand keine ausreichende Evidenz, die diese Untersuchung rechtfertigt. Aber Patientinnen gar nicht körperlich zu untersuchen, ist wohl auch keine Lösung ...

Kommentar

Nun liegen also drei unterschiedliche Empfehlungen von drei relevanten meinungsbildenden Gruppen vor: Die ACP (American College of Physicians) lehnt die Beckenuntersuchung bei asymptomatischen Frauen generell und deutlich ab, insbesondere wegen der möglichen Schäden in Form von psychischer Belastung und Folgeeingriffen; die ACOG (American Congress of Obstetricians and Gynecologists) meint zwar auch, dass es an Evidenz fehle, empfiehlt aber dennoch die jährliche Untersuchung bei Frauen über 21 Jahren, basierend auf Expertenmeinungen; und nun noch die USPSTF mit der Feststellung, die Evidenz sei unzureichend, um Nutzen und Risiko abzuwägen. Was also tun? Einige Autoren schlagen vor, die Patientinnen müssten über die drei Standpunkte detailliert aufgeklärt werden, damit ihnen ein „informed consent“ im Rahmen des „shared decision making“ möglich gemacht wird. Nur dann wären Patientinnen in der Lage, für sich die beste Entscheidung zu treffen. Klingt vielleicht gut, ist aber wohl unpraktikabel. Dennoch, es könnte ein gangbarer Weg sein, die körperliche gynäkologische Untersuchung nicht „mit der Gießkanne“ unter die Patientinnen zu bringen, sondern sich tatsächlich patientinnenindividuell und nach Rücksprache mit der Betroffenen dafür oder dagegen zu entscheiden. Der Patientinnenwunsch nach intrauteriner Kontrazeption oder die Patientinnenunsicherheit bezüglich ihrer „anatomischen Normalität“ beispielsweise könnten gute Gründe für eine Untersuchung darstellen. Dennoch, ob die körperliche Untersuchung bei asymptomatischen Frauen nun völlig verbannt gehört, bleibt laut den Autoren unklar.

Sawaya GF: Screening pelvic examinations – The emperor‘s new clothes, now in 3 sizes? Ebd. 467-8; McNicholas C, Peipert JF: Is it time to abandon the routine pelvic examination in asymptomatic nonpregnant women? Ebd. 910-1;
Redaktion Gyn-Depesche
Die US Preventive Services Task Force (USPSTF) machte sich auf, die Evidenz der körperlichen gynäkologischen Untersuchung bei asymptomatischen Frauen zu finden und wertete nach Sichtung von 316 Volltext-Publikationen neun Studien mit Daten zu über 27 000 Patientinnen aus. Die körperliche Untersuchung kann im Sinne der analysierten Studien bestehen aus (alleinige Untersuchung oder Kombinationen): Inspektion des äußeren Genitals, Spekulum-Untersuchung, bimanuelle Palpation und rektovaginale Untersuchungen.
Keine einzige Studie untersuchte eine Reduzierung der Gesamtmortalität, die Reduzierung von krebs- oder krankheitsspezifischer Mortalität oder eine Verbesserung der Lebensqualität. Acht Studien kamen zu dem Schluss, dass bei folgenden Erkrankungen die körperliche Untersuchung treffsicher ist: Ovarialkarzinom, bakterielle Vaginose, Trichomoniasis und Herpes genitalis. Allerdings war der negative Vorhersagewert der Untersuchung beim Ovarialkarzinom wegen der geringen Prävalenz niedrig. Bei auffälligen Screening-Ergebnissen auf Ovarial-Ca wurden zwischen 5 und 31% innerhalb von einem Jahr operiert.
Die „evidenzfixierte“ Schlussfolgerung der USPSTF: Es gibt aktuell keine direkte Evidenz für einen Gesamtbenefit der körperlichen gynäkologischen Beckenuntersuchung, weder einmalig noch wiederholt durchgeführt. Eine limitierte Evidenz konstatierte man bezüglich der diagnostischen Treffsicherheit. CB
Quelle:

Guirguis-Blake JM et al.: Periodic screening pelvic examination ... JAMA 2017; 317: 954-66

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