Alle Praxis-Leitlinien gescreent und auf den Punkt gebracht

Gyn-Depesche 5/2022

Therapie-Empfehlungen beim persistierenden Beckenschmerz

Zertifizierte Fortbildung
Die Bezeichnung „persistierender Beckenschmerz“ (PPP, persistent pelvic pain) subsumiert eine ganze Reihe von Beschwerden und Erkrankungen, die sowohl beim Mann als auch bei der Frau einen signifikanten Einfluss auf die physische und emotionale und nicht zuletzt auch sexuelle Gesundheit haben können. Die Erklärungen, Empfehlungen und Therapien, die Frauen mit PPP von ihren Ärzten erhalten, scheinen stark zu variieren, wie Studien berichten. Eine allgemein gültige Leitlinie zum evidenzbasierten Umgang mit PPP existiert derzeit nicht. Daher wurden nun alle verfügbaren Publikationen gescreent und die Empfehlungen so zusammengefasst, dass ein nutzbarer Praxisleitfaden entstand – bei insgesamt allerdings eher niedriger Evidenz.
Es wurden über 2.400 Arbeiten zum Thema PPP identifiziert. Davon blieben allerdings aufgrund der Selektionskriterien und Qualitätsstandards nur 20 Leitlinien übrig, aus denen die Empfehlungen dieser Übersichtsarbeit zusammengefasst wurden. Sie wurden unterteilt in pharmazeutische, chirurgische, psychologische, Physiotherapie und andere konservative Maßnahmen.
 
Pharmakologische PPP-Behandlungsempfehlungen
Alle ausgewerteten klinischen Praxisleitlinien (n = 20) empfehlen eine Hormontherapie für Endometriose, PCOS, Dysmenorrhoe und GPPPD (genito-pelvine Schmerz-Penetrationsstörung). Am häufigsten wurden hierfür orale Kontrazeptiva favorisiert. Weitere häufige Empfehlungen waren Gestagene, GnRHAgonisten und LNG-IUD. Oft wird auch als Expertenstatement eine Analgesie empfohlen, zum Beispiel mit lokalen Anästhetika oder Paracetamol. Insbesondere für die Vulvodynie, interstitielle Zystitis und GPPPD sind lokale Anästhetika sinnvoll, während für Paracetamol auch ein breiterer Einsatz empfohlen wird. Opioide werden gelegentlich zur Therapie bei chronischem Beckenschmerz (CPP) genannt – mit niedrigem bis moderatem Empfehlungsgrad. Zudem können NSAR, trizyklische Antidepressiva und Gabapentin eingesetzt werden, NSAR insbesondere auch bei Endometriose – aber alle diese Empfehlungen müssen als „Expertenmeinung“ gewertet werden und weisen daher keine Evidenz von höchstem Grad auf.
 
Chirurgie
16 Praxisleitfäden empfehlen chirurgische Interventionen, wobei die Hysterektomie, Laparoskopie und nicht weiter spezifizierte Resektionen des pathologischen Befundes am häufigsten genannt werden (letztere können Exzision oder Ablation von Endometrioseherden, vaskuläre Adhäsiolyse oder Resektion von ovariellen Endometriomen sein). Bei Endometriose und CPP sprechen sich fast alle Arbeiten für die Chirurgie aus (Hysterektomie, Laparoskopie). Weitere spezifische Prozeduren sind ovarielle Zystektomie bei ovarieller Endometriose, Vestibulektomie bei Vulvodynie, Hydrodistension (Wasser-Füllung der Harnblase unter erhöhtem Druck) und transurethrale Resektion/Koagulation bei interstitieller Zystitis.
 
Psychologische Interventionen
Psychologische Interventionen werden generell häufig empfohlen, z. B. bei CPP, Vulvodynie, interstitieller Zystitis und GPPPD, wobei der Empfehlungsgrad auch hier variiert. Meistens wird auch keine spezielle psychologische Maßnahme für die Patient:innen empfohlen, sondern die psychologische Intervention lediglich im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzeptes genannt. Kognitive Verhaltenstherapie und eine psychosexuelle Beratung können geeignete Maßnahmen sein.
 
Physiotherapie
Neun der 20 bewerteten Arbeiten empfehlen eine Physiotherapie, z. B. bei CPP, Vulvodynie, interstitieller Zystitis und GPPPD. Für Endometriose, PCOS oder Dysmenorrhoe gibt es keine Physio-Empfehlung. Spezifische Maßnahmen können Biofeedback, Manuelle Therapie oder Beckenboden-Training sein.
 
Weitere Maßnahmen
Am häufigsten sprachen sich die Veröffentlichungen für eine Ernährungsumstellung als w eitere konservative Maßnahme aus. Aber auch Akupunktur und TENS werden empfohlen. Allerdings gibt es für die Endometriose gar keine weitere konservative Maßnahme, die empfohlen würde – ganz im Gegenteil, manchmal wurde bewusst dagegen votiert, da die Evidenz hierfür nicht gegeben sei.
 
Conclusio: Magere Evidenz!
Insgesamt ist, so die Autoren der Übersichtsarbeit, die Evidenz für jegliche Empfehlung zur Therapie bei PPP nicht von besonders hoher empirischer Evidenz. Über 35 % aller Aussagen gehen auf lediglich eine einzige Expertenmeinung zurück. Und selbst wenn eine Intervention häufig empfohlen wird, ist das noch kein Garant dafür, dass auch wirklich zahlreiche (oder alle) Patientinnen profitieren: So wird die Hysterektomie bei PPP oft genannt, aber man weiß eben auch, dass die Schmerzrezidivrate bei fortgeschrittenen Stadien bis zu 62 % betragen kann. Auf der anderen Seite verbessert sich die Situation bei 20 % der Patientinnen mit Endometriose nach Laparoskopie nicht, oder verschlechtert sich sogar. Über 60 % benötigen gar eine Re-Laparoskopie.
Bei den pharmakologischen Therapien zeigen sich häufig suboptimale Ergebnisse, insbesondere bei Mono-Therapien. In zwei Arbeiten werden z. B. Opioide genannt, obwohl bekannt ist, dass diese bei PPP wegen der Nebenwirkungen und der nicht optimalen Langzeitwirkung nicht empfohlen werden sollten.
Lediglich vier der insgesamt 20 ausgewerteten Arbeiten werden aufgrund ihrer guten Qualität in der Praxis empfohlen: NICE-Leitlinie (2017), ESHRE-Leitlinie (European Society of Human Reproduction and Embryology, 2014), RANZCOG- Leitlinie (Royal Australian and New Zealand College of Obstetricians and Gynaecologists, 2021) und die Arbeit von Teede H et al. (2018). CB/Dr. med. Markus Kemper


Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle: Mardon AK et al.: Treatment recommendations for the management of persistent pelvic pain: a systematic review of international clinical practice guidelines. BJOG 2022; 129: 1248-60
ICD-Codes: R10.2

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