Kontroverse zur Netzimplantation

Gyn-Depesche 3/2017

Bei Inkontinenz mit Netz, bei Prolaps besser ohne operieren

Stressinkontinenz (stress urinary incontinence, SUI) und Beckenorganprolaps (pelvic organ prolapse, POP) sind bei insbesondere älteren Frauen für ein hohes Maß an Morbidität verantwortlich – das Lebenszeitrisiko bis zum Alter von 80 Jahren, sich einem entsprechenden operativen Eingriff unterziehen zu müssen, beträgt etwa 1 zu 5 bis 8. Für den Einsatz von synthetischen Netzen bei diesen Operationen ist bezüglich Erfolgsraten und Komplikationen die Datenlage nach wie vor kontrovers. Nun wurde eine der größten Kohorten zu diesem Thema in Schottland retrospektiv untersucht, und die Autoren fanden klare Worte zu Inkontinenz- und POP-Operationen mit und ohne Netzimplantation.

Kommentar

Manch einer hätte sich wohl einen Vergleich mit autologen Schlingenverfahren gewünscht – diese Eingriffe waren im untersuchten Kollektiv aber einfach zu selten, um Aussagen dazu zu treffen.

McAchran SE, Goldman HB: Synthetic midurethral slings redeemed. Ebd. 580-1
Man entnahm die Daten für die Studie einem schottischen Gesundheitsregister, welches als besonders umfassend und zuverlässig gilt. Es wurden Operationen der Jahre 1997 bis 2016 eingeschlossen und diese fünf Jahre nachverfolgt. Zur Auswertung bildete man vier Gruppen: 1. Inkontinenzoperationen ohne und 2. mit Netzimplantation; 3. POP-Operationen ohne und 4. mit Netzimplantation. Zur Gruppe 1 zählte man offene Kolposuspension, urethrale Injektionsbehandlungen, traditionelle suprapubische Schlingen-OP (ohne Netz). Gruppe 2 bestand aus unspezifizierten Netz-Band-OPs, retropubischen Netzbändern und transobturatorischen Netzbändern. In Gruppe 3 zählte man anteriore Kolporrhaphie ohne Netz, posteriore Kolporrhaphie ohne Netz, vaginale sakrospinale Fixierung ohne Netz und vaginale Hysterektomie. Gruppe 4 bestand aus den in Gruppe 3 genannten OPs jeweils mit Netzimplantation, sowie Scheidengewölbeprolaps-Rekonstruktion mit Netz und offene Sakrokolpopexie mit Netz.
Durch diese Gruppenbildung gelang es den Autoren, eine jeweils sehr große Zahl an Eingriffen pro Gruppe auszuwerten (16 660 Inkontinenzoperationen, davon 79% mit Netz, und 18 986 POP-Operationen, davon nur 7% mit Netz; alles waren Ersteingriffe ohne Kombinationsoperationen). Auch wenn die einzelnen OPs recht heterogene Verfahren darstellten, so ging es den Autoren hauptsächlich um die Unterscheidung „mit und ohne Netz“, denn sie nahmen an, dass es die Klasse von Implantaten ist, die relevant für den Erfolg einer OP ist und nicht die Art und Weise, wie Implantate im Detail verwendet werden.
 
Inkontinenz-OP
 
Operationen mit retropubischem Netz wiesen im Vergleich zur offenen Kolposuspension ohne Netz ein um 56% geringeres Risiko von Frühkomplikationen auf. Zudem war die Rate an notwendigen Folge-POP-OPs niedriger (um 70%). Das Risiko für Spätkomplikationen und Folge-Inkontinenz-Eingriffe war dabei gleich.
 
Beckenbodenprolaps-OP
 
Das Risiko für Spätkomplikationen war bei Eingriffen mit Netz (POP des anterioren Kompartments) deutlich höher als ohne Netz (mehr als verdreifacht). Auch das Risiko von späteren Inkontinenz- und Prolaps-OPs war erhöht. Frühkomplikationen waren in beiden Gruppen vergleichbar. Wurde ein Prolaps des hinteren Kompartments mit Netz operiert, war das Risiko für eine Zweit-OP und Spätkomplikationen vergleichbar. Bei Eingriffen wegen Scheidengewölbeprolaps fanden sich keine Unterschiede mit oder ohne Netz. Bei Inkontinenzeingriffen sollte man, so die Autoren, Verfahren mit Netzimplantation bevorzugen, operiert man einen POP (anterior oder posterior), sollte man vom Netz besser Abstand nehmen. CB
Quelle:

Morling JR et al.: Adverse events after first, single, mesh and non-mesh surgical procedures for stress urinary incontinence and pelvic organ prolapse in Scotland, 1997–2016: a population-based cohort study. Lancet 2016; Epub Dec 20; pii: S0140- 6736(16)32572-7

ICD-Codes: N39.3

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