Postpartale Thromboseprophylaxe

Gyn-Depesche 6/2019

Ist der Schaden höher als der Nutzen?

Eine Reihe nationaler Leitlinien empfehlen die Thromboseprophylaxe im Wochenbett. Die Behandlung mit niedermolekularem Heparin (NMH) schadet jedoch möglicherweise mehr als sie nutzt.
Die liberalen Empfehlungen zur postpartalen Thromboseprophylaxe in den USA, Australien, Neuseeland, Kanada, Schweden und Großbritannien schließen nicht nur Kaiserschnittpatientinnen, sondern auch viele vaginal entbundene Frauen ein, berichtete Kotaska, Yellowknife/Kanada. Während Hochrisikopatientinnen sehr wahrscheinlich von NMH profitieren, sei unklar, ob dies auch für Frauen mit weniger Risikofaktoren gilt. Kotaska kritisiert, dass die gültigen geburtshilflichen Leitlinien im Wesentlichen auf Prädiktionsmodellen und Expertenmeinungen, nicht jedoch auf randomisierten kontrollierten Untersuchungen basieren. Bei der Berechnung der VTE-Inzidenz seien auch klinisch asymptomatische VTE berücksichtigt worden, wodurch der Nutzen der Antikoagulation systematisch überschätzt werde. Besonders problematisch sind die potenziellen Komplikationen der NMH-Behandlung, für die oft das Bewusstsein fehle. Zum einen müsse nach Absetzen des Medikaments mit einer transienten Hyperkoagulabilität gerechnet werden, zum anderen bestehe unter der Behandlung ein nicht unerhebliches Blutungsrisiko, das gegen die Risiken der Nichtbehandlung abgewogen werden müsse.
Der klinische Nutzen einer Behandlung – so auch der NMH-Prophylaxe – lasse sich am besten anhand der absoluten Risikoreduktion, der Number Needed to Treat sowie der Number Needed to Harm objektivieren. Mangels belastbarer Studiendaten können die geburtshilflichen Leitlinien jedoch keine Aussage über diese aussagekräftigen Parameter machen.
 

 

Statt dessen empfehlen sie für eine breite Masse von Wöchnerinnen eine kostenintensive und potenziell gesundheitsschädliche Behandlung, deren Nutzen bislang nicht zweifelsfrei wissenschaftlich bestätigt werden konnte. Er fordert daher die Prüfung der Vorund Nachteile der NMH-Prophylaxe im Rahmen großer randomisierter kontrollierter Studien.
Bis deren Ergebnisse vorliegen, sollten seiner Ansicht nach Mütter mit normalem VTE-Risiko keine routinemäßige NMH-Prophylaxe erhalten. Ferner hält er es für angebracht, die aktuellen Leitlinienempfehlungen einer Überprüfung zu unterziehen. LO
Quelle: Kotaska A: Postpartum venous thromboembolism prophylaxis may cause more harm than benefit: a critical analysis of international guidelines through an evidence- based lens. BJOG 2018; 125(9): 1109-1116. doi: 10.1111/1471-0528.15150

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