Gyn-Depesche 3/2003

Management des Gestationsdiabetes

Diagnostik und Therapie des Gestationsdiabetes sind nicht einheitlich geregelt. Die Patientinnen sollten unter Beachtung der unterschiedlichen Empfehlungen individuell betreut werden.

Der Gestationsdiabetes (GDM) ist definiert als Kohlenhydratstoffwechselstörung, die erstmals in der Schwangerschaft auftritt oder diagnostiziert wird. Ursächlich ist der Anstieg antiinsulinär wirkender Hormone mit konsekutiver Insulinresistenz und Hyperinsulinämie. Die häufig nicht sehr ausgeprägte Hyperglykämie der gestationsdiabetischen Mutter kann dennoch durch Glukosestimulation der fetalen Beta-Zellen zu einem Hyperinsulinismus des Feten mit resultierenden Risiken führen. Die Häufigkeit des GDM wird in Deutschland mit unter 0,5% angegeben. Dies ist aufgrund der Prävalenz erkannter und nicht erkannter Glukosestoffwechselstörungen im reproduktionsfähigen Alter mit 10 bis 15% nicht plausibel. Screening-Untersuchungen legen eine Prävalenz von mindestens 5% nahe. Diagnostizierte und behandelte (!) Gestationsdiabetikerinnen haben bundesdeutschen Perinatalstudien zufolge ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für perinatale Mortalität, vorzeitige Wehen, Frühgeburt, Hypertonus, Sectio und Makrosomie. Es wird geschätzt, dass etwa ein Drittel der ungeklärten intrauterinen Todesfälle auf einen nicht erkannten GDM zurückgeführt werden kann. Wird ein GDM nicht erkannt und behandelt, haben die Kinder Schätzungen zufolge ein etwa sechsfach erhöhtes Risiko, an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken. Der GDM macht sich nur sehr selten durch klinische Symptome bemerkbar. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) empfiehlt ein generelles Screening der Schwangeren zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche, welches jedoch nicht Bestandteil der Mutterschaftsrichtlinien ist. In den USA gilt im wesentlichen, dass nur diejenigen Schwangeren nicht gescreent werden müssen, die unter 25 Jahre alt sind und keine sonstigen Risikofaktoren aufweisen. Als Risikofaktoren gelten: Übergewicht (BMI 27,0 und höher), Diabetes bei Eltern oder Geschwistern, GDM in früherer Schwangerschaft, Z. n. Geburt eines Kindes mit Geburtsgewicht von 4500 g und höher, frühere ungeklärte Totgeburt, schwere kongenitale Fehlbildungen in einer vorangehenden Schwangerschaft, habituelle Abortneigung, rezidivierende Glukosurie insbesondere in der Frühschwangerschaft, Diabetes-assoziierte Symptome. Am intensivsten wurde das 50-g-Screening (50 g Glukosetrunk, Blutzuckermessung nach einer Stunde) untersucht. Zeitpunkt der Durchführung und Grenzwerte sind umstritten. Überwiegend wird die 24. bis 28. SSW empfohlen. Als Grenzwert werden 140 bzw. 130 mg/dl Glukose diskutiert. Auch niedrigere Screeningwerte scheinen bei einer Gestationsdiabetikerin möglich. Der Gestationsdiabetes gilt erst dann als gesichert, wenn er durch einen oralen Glukose-Toleranztest bestätigt ist. Dabei werden beispielsweise folgende Grenzwerte nach einer 75 g-Belastung empfohlen: Nüchtern 90 mg/dl, Einstundenwert 160 mg/dl, Zweistundenwert 140 mg/dl. Bei Einstundenwerten zwischen 160 und 180 mg/dl besteht bereits bei etwa 20% der Feten ein Hyperinsulinismus. Auf den Zweistundenwert kann verzichtet werden. Als Diagnosezeitpunkt wird allgemein die 24. bis 28. SSW empfohlen. Bei entsprechender Risikokonstellation und negativem Test ist eine Wiederholung einige Wochen später sinnvoll. Die Schwangere ist darauf hinzuweisen, dass die der Diagnose folgenden Blutzuckerkontrollen und Therapiemaßnahmen prophylaktischen Wert haben und es sich beim GDM nicht um eine Krankheit im engeren Sinn handelt. Auch die Befürchtung, das Kind würde als Diabetiker zur Welt kommen, muss der Patientin genommen werden. Die Schwangere mit GDM sollte eine ausführliche Ernährungsberatung erhalten, die die besonderen Umstände der Schwangerschaft berücksichtigt. Überschreitet die Patientin ihr Sollgewicht um 20 bis 50%, sollte eine Reduktion der Diät auf 24 kcal/kg, bei einer Überschreitung von über 50% auf 12 bis 15 kcal/kg erfolgen (ausgehend von 30 kcal/kg). Körperliches Training kann vermutlich helfen, die Einstellung zu verbessern bzw. eine Insulintherapie zu vermeiden. Die Blutzuckerwerte sollte die Patientin prä- und postprandial (Hauptmahlzeiten) bestimmen. Bei Verdacht auf nächtliche Hyperglykämien und zu Beginn einer Insulintherapie sind intermittierend zwei nächtliche Werte erforderlich. Die Grenzwerte, die für eine Insulintherapie entscheidend sind, sind ebenfalls umstritten. Verschiedentlich wird Insulintherapie ab einem Nüchternwert von 95 mg/dl empfohlen. Die Einstellungskriterien der deutschen Fachgesellschaften sind: nüchtern bzw. präprandial 60 bis 90 mg/dl, eine Stunde postprandial unter 140 mg/dl, zwei Stunden postprandial unter 120 mg/dl, präprandial nicht unter 60 mg/dl. Einzelne Experten empfehlen, die Indikation zur Insulintherapie unabhängig von der Blutglukose anhand der Fruchtwasser-Insulinkonzentration zu stellen. Der Grenzwert liegt bei 8,0 µU/ml. Der Insulinbedarf einer Gestationsdiabetikerin liegt deutlich über demjenigen einer Typ-1-Diabetikerin. Häufig ist erst ab einer Insulindosis über 30 Einheiten pro Tag ein therapeutischer Effekt nachweisbar. Der durchschnittliche Insulinbedarf liegt bei 0,8 bis 1,2 I.E./kg. Die Therapie sollte wegen des erhöhten basalen Insulinspiegels nahezu ausschließlich mit Normalinsulin erfolgen. Der mit Abstand höchste Bedarf besteht zum Frühstück. Für die Insulinbehandlung der Gestationsdiabetikerin sollte ausschließlich Humaninsulin eingesetzt werden. Orale Antidiabetika gelten während der Schwangerschaft und Stillzeit weiterhin als kontraindiziert. (UB)

Quelle: Günter, HH: Der Gestationsdiabetes: Ein kontrovers diskutiertes Thema der Geburtshilfe, Zeitschrift: z.ärzl. Fortbild. Qual. sich., Ausgabe 96 (2002), Seiten: 655-663

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x