Drohende Frühgeburt

Gyn-Depesche 5/2020

Mehr psychische Störungen beim Nachwuchs nach pränatalen Steroiden

Bei einer drohenden Frühgeburt senken pränatale Kortikosteroide das Risiko von respiratorischen Komplikationen. Erkauft wird das offenbar aber durch ein langfristig höheres Risiko für psychische Erkrankungen.
Finnische Wissenschaftler werteten in einer retrospektiven Kohortenstudie die Daten von 670.097 Kindern aus, die zwischen 2006 und 2017 als Einlingsgeburten im landesweiten Geburtenregister verzeichnet waren. 2,22 % der Kinder hatten pränatal Kortikosteroide erhalten. Von diesen kamen 54,74 % vor der 37. SSW zur Welt. In der Vergleichsgruppe ohne Steroidtherapie betrug die Frühgeburtsrate 3,12 %. Die Kinder wurden im Schnitt 5,8 Jahre nachbeobachtet. Nach einer vorgeburtlichen Steroidexposition wurde bei 12,01 % der Kinder eine psychische Störung nach ICD-10 diagnostiziert. Ohne Steroide war dies nur bei 6,45 % der Fall. Das entsprach einem um 33 % höheren adjustierten Risiko durch die Kortikosteroidgabe. Das Spektrum der aufgetretenen Störungen war dabei groß und reichte von Schlafproblemen über Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome bis zu schweren intellektuellen Beeinträchtigungen. Auch wenn man nur die vollständig ausgetragenen Kinder verglich, war der Unterschied signifikant (adjustierte Hazard Ratio 1,47). Unter den Frühgeborenen fand sich nach einer pränatalen Steroidexposition ebenfalls eine höhere Rate von psychischen Auffälligkeiten (14,59 versus 10,71 %).
In einer separaten Analyse verglich man das Outcome von 4.128 Geschwisterpaaren, von denen ein Kind pränatal mit Steroiden behandelt worden war, das andere aber nicht. Auch hier ergab sich ein höheres Risiko für mentale Störungen und Verhaltensauffälligkeiten (6,56 versus 4,17 %, aHR 1,38). Möglicherweise übersehene Störfaktoren innerhalb einer Familie schienen daher nicht für die beobachteten Assoziationen verantwortlich zu sein.
Unbestritten trägt die maternale Steroidtherapie bei einer drohenden Frühgeburt vor der 34. SSW dazu bei, die neonatale Morbidität und Mortalität zu senken. Offenbar erhöht sie im Gegenzug aber langfristig das Risiko für psychische Störungen – zumindest bei vollständig ausgetragenen Kindern. Eine Ausweitung der Indikation für eine Steroidtherapie nach der 34. SSW sehen die Studienautoren angesichts ihrer Daten daher kritisch. CW
Quelle: Räikkönen K et al.: Associations between maternal antenatal corticosteroid treatment and mental and behavioral disorders in children. JAMA 2020; 323: 1924-33
ICD-Codes: O60.1

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