Möglicher Blutmarker für plötzlichen Kindstod

Australische Fall-Kontroll-Studie

Gyn-Depesche 3/2022

Möglicher Blutmarker für plötzlichen Kindstod gefunden

Obwohl die Zahl der plötzlichen Kindstode in den letzten Jahren rückläufig war, ­machen sie weiterhin etwa die Hälfte aller post-neonatalen Sterbefälle aus. Ein Team um die australische Forscherin Dr. Carmel Therese Harrington hat mit dem Enzym Butyrylcholinesterase nun einen Biomarker gefunden, der schon bald die Identifikation gefährdeter Säuglinge ermöglichen könnte.
Man geht heute davon aus, dass der plötzliche Kindstod (Sudden Infant Death Syndrome, SIDS) multifaktoriellen Ursprungs ist. Entsprechend des weithin akzeptierten „dreifachen Risikomodells“ müssen dafür drei Faktoren aufeinandertreffen: ein vulnerabler Säugling (z. B. Frühgeborene), eine kritische Entwicklungsphase und exogene Stressfaktoren (z. B. maternales Rauchen).
 
Neurotransmitter als SIDS-Prädiktor
Ein weiterer Faktor, der die Vulnerabilität des Neugeborenen erhöht, ist offenbar eine erniedrigte Aktivität des Enzyms Butyrylcholinesterase (BChE). Zu diesem Ergebnis kam jetzt eine im Fachmagazin eBioMedicine publizierte Fall-Kontroll-Studie, durchgeführt von einem Team des Kinderkrankenhauses Westmead in Sidney. Die Forschenden hatten 722 Trockenblutproben analysiert, die im Rahmen des Neugeborenen-Screenings entnommen worden waren. In 26 Fällen war innerhalb der ersten 104 Lebenswochen der plötzliche Kindstod eingetreten, bei weiteren 30 Säuglingen war die Todesursache bekannt („Non-SIDS“). Die übrigen Proben dienten als alters- und geschlechtsgematchte Kontrollen.
Bei Neugeborenen, bei denen es später zum plötzlichen Kindstod kam, war die Aktivität des Enzyms BChE signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe (5,6 vs. 7,7 U/mg) sowie der Non-SIDS-Gruppe (8,5 U/mg). Ein niedrigerer BChE-Wert war somit nur in der SIDS-Gruppe mit dem Tod assoziiert (Odds Ratio, OR 0,73 pro U/mg).
 
Studie unterstreicht autonome Dysfunktion als Ursache
Diese Studienergebnisse lassen nicht nur auf einen Biomarker hoffen, mit dem sich Risikokinder identifizieren lassen – sie geben auch Einblick in die Ursachen des plötzlichen Kindstodes.  So ist das Enzym BChE an der Hydrolyse von Acetylcholin beteiligt, dem zentralen Neurotransmitter des autonomen Nervensystems. Schon länger wird vermutet, dass der plötzliche Kindstod in vielen Fällen das Ergebnis eines Defekts im cholinergen Systems ist. Normalerweise sorgen autonome Mechanismen bei gesunden, schlafenden Säuglingen dafür, dass sie automatisch aufwachen, wenn es zu apnoischen Zuständen kommt. Bei Kindern mit SIDS könnte diese Schutzfunktion versagen – womöglich aufgrund einer eingeschränkten Aktivität von BChE. RG

 

Quelle: Harrington CT et al.: Butyrylcholinesterase is a potential biomarker for Sudden Infant Death Syndrome. EBioMedicine 2022; 80: 104041
ICD-Codes: R95
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