73. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie

Gyn-Depesche 1/2022

Plädoyer für mehr Urodynamik

Oft erfordern onkologische Therapien einen operativen Eingriff in den nerven-sensiblen Beckenraum. Eine häufige Folge sind Inkontinenzen, von denen Frauen höheren Alters besonders betroffen sind. Eine präoperative Urodynamik komme bei Krebspatientinnen jedoch oft zu kurz, wie Urologen und Urologinnen im Rahmen des DGU-Kongresses kritisierten.
Aufgrund der vielen verästelten Nervenstränge im Beckenraum haben onkologische Befunde in dieser Region häufig eine postoperative Inkontinenz zur Folge. Durch den Fokus auf die onkologische Therapie komme dabei die präoperative Urodynamik aber oft zu kurz, weshalb Daten aus randomisierten, prospektiven Studien fehlten, berichtete Dr. Stephanie Knüpfer von der Uniklinik Bonn. Meist gäbe es nur kleine Datenkollektive, vornehmlich retrospektiv mittels Fragebogen generiert, keine Tagebücher und keine Urodynamik. Dabei sind die Zahl der Inkontinenztypen nach Operationen als auch die der onkologischen Eingriffe im Beckenraum in den letzten Jahren stark angestiegen. Dies zeigten die Ergebnisse eines systematischen Reviews von 2018, in dem 550 Studien analysiert wurden (Ramaseshan et al., Int Urogynecol J 2018). Eine Hysterektomie oder Zystektomie gelten daher als Prädiktoren für eine Inkontinenzsituation. Nerverhaltende OP-Techniken wie die „nerve-sparing“-Technik und uteruserhaltende Zystektomien konnten die Zahl der Inkontinenzen und den Erhalt der Blasenfunktion jedoch signifikant verbessern (Ceccaroni e t a l., Anticancer Res 2012).
 
Eine Bandeinlage für alle?
Die häufigste operative Maßnahme zur Behandlung der Inkontinenz ist die Bandeinlage unter die Harnröhre, bei der das Band hinter den Schambogen gelegt wird – die sogenannte TVT („tension free vaginal tape“). Die Erfolgsrate einer solchen Inkontinenz- OP sowie die Rezidivrate sind von verschiedenen Risikofaktoren abhängig. Dazu zählen eine Adipositas, das Alter der Patientin, die intrinsische Sphinkterinsuffizienz sowie multiple Voroperationen. Auch spielt die Erfahrung des Operateurs, die OP-Technik und das verwendete Material eine Rolle, ergänzte Prof. Christian Hampel, Chefarzt der Fachklinik für Urologie am Marienhospital Erwitte.
Allerdings wurden in das letztjährige Leitlinien- Update zur Belastungsinkontinenz der Frau nur die multiplen Voroperationen als Risikofaktor für Rezidive aufgenommen. Alle anderen Faktoren, obwohl bekannt, würden von den Leitlinien ignoriert, kritisierte Hampel. „Dort wird nach wie vor die suburethrale Bandeinlage als primäre Therapieempfehlung ausgesprochen. Frauen mit einem BMI von > 35 kg/m2 profitieren jedoch in 50 % der Fälle nicht von einem spannungsfreien alloplastischen Band.“
Wozu also eine Urodynamik, wenn sich die Therapieempfehlungen ohnehin nicht ändern? Hampel prognostizierte: „Entindividualisierung der Therapie mit minimalistischer Prädiagnostik bei steigender OP-Frequenz führt zwangsläufig zu mehr Rezidivfällen.“ Er plädierte für eine Therapieplanung in Abhängigkeit der urodynamischen Ergebnisse. Auch in der sekundären Situation (nach Rezidiv) sprach sich Dr. Bastian Amend von der Uniklinik Tübingen für eine prä- und postoperative Diagnostik aus. Er warnte, dass aufgrund mangelnder Diagnostik und unveränderter Leitlinienempfehlung häufig bereits in der primären Situation falsche Entscheidungen getroffen würden.
 
Mit Hilfe der Urodynamik kann eine Basisdiagnostik zur Objektivierung der (Rezidiv-) Inkontinenz und Drangsymptomatik, Schweregradeinteilung, maximalen Blasenkapazität, Füllvolumen und Restvolumen sowie eine Erfolgsprognose einer Salvage- Operation erstellt werden. Miktionstagebuch, Sonographie und MRT des Beckens können prä- und postoperativ hilfreich sein. Die Urodynamik mit Augenmerk auf die Blasenentleerung sollte daher dringend in Studien miteinbezogen werden, so lautete ein Fazit der Vortragenden. In der Praxis zeigt sich jedoch die Problematik wenig verfügbarer Termine und langer Wartezeiten.
 
Was kann die vaginale Lasertherapie?
Die vaginale Lasertherapie befindet sich im Spannungsfeld zwischen Begeisterung, Ablehnung und Marketing-Hype, so Dr. Christian Ratz, Urologie- und Laserzentrum Groß-Gerau. Seit 2019 wurde die vaginale Lasertherapie in über 2.000 Studien untersucht. Vielversprechende Ergebnisse bei Harninkontinenz und dem urogenitalen Syndrom der Menopause fasste Ratz in einem Review von 2019 zusammen. Nach wie vor mangele es aber an randomisiert-kontrollierten Studien (n = 9), weshalb die Skepsis gegenüber dieser Therapieform nach wie vor groß ist und es keine Empfehlung durch die Fachgesellschaften gibt.
In einer randomisiert-kontrollierten Studie zur Wirksamkeit zeigte sich die Lasertherapie mindestens genauso effektiv wie eine topische Anwendung mit Östrogengel. Histologische Effekte der Lasertherapie, wie die Zunahme der epithelialen Dichte sowie eine Kollagenzunahme, wurden in zwei aktuellen Studien bestätigt.
Die ersten italienischen Fachgesellschaften haben die Lasertherapie im Jahr 2019 in die Leitlinien aufgenommen. In Fallberichten und Studien, zusammengefasst in einem Übersichtsartikel, gab es keine schweren Nebenwirkungen (Gambacciani M et al., Climacteric 2020). Dennoch bleibt oft Skepsis. So ist über die Langzeiteffekte der applizierten Hormontherapie bisher zu wenig bekannt. Beim Mammakarzinom ist topisches Östrogen sogar absolut kontraindiziert.
Viele Ärztinnen und Ärzte schrecken zudem vor den hohen Anschaffungskosten zurück. Dabei können „normale dermatologische Lasergeräte auch für die vaginale Therapie herangezogen werden“, betonte Ratz. „Die Lasertherapie ist wirksam, sicher und wissenschaftlich bestätigt, die Datenlage ist sicher“, weshalb er eine klare Empfehlung für die Lasertherapie als Erstlinientherapie bei Urogenitalsyndrom in der Menopause aussprach. DM

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