Empfehlung von 2009 zur Hormonersatztherapie (HRT)

25. Jahrestagung der Deutschen Menopause Gesellschaft

Gyn-Depesche 1/2022

Reminiszenz der HRT

Eine der wichtigsten Änderungen in der neuen S3-Leitlinie der AWMF zu Diagnostik und Interventionen in der Peri- und Postmenopause lässt sich auf einen einzigen Satz herunterbrechen: Aus der schwachen Empfehlung von 2009 zur Hormonersatztherapie (HRT) – „Östrogene können eingesetzt werden“ – wird in der neuen Leitlinie die starke Empfehlung, „eine HRT soll angeboten werden“. Die Hintergründe im Überblick.
Die geänderte Leitlinienempfehlung zur HRT war eines der bestimmenden Themen auf dem Kongress der Deutschen Menopause-Gesellschaft (DMG). Die wichtigsten Aussagen der neuen Leitlinie in Bezug auf die HRT fasste Prof. Ludwig Wildt zusammen, Direktor der gynäkologischen Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Uniklinik Innsbruck.
In Anlehnung an die Empfehlung des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) von 2015 soll Frauen mit vasomotorischen Beschwerden von nun an eine HRT angeboten werden, nachdem sie über die möglichen Risiken aufgeklärt wurden (Empfehlungsgrad A, Evidenzgrad 1a). Bezüglich dieser „Risiken“ äußert sich die Leitlinie allerdings nur wage: So sollen Frauen unter anderem darüber informiert werden, dass eine HRT „zu einer geringen oder keiner Erhöhung des Brustkrebsrisikos führen kann“. Dabei werde oft vergessen, dass diese potenzielle Risikoerhöhung nur die Östrogen-Therapie mit Gestagenzusatz betreffe, die für nicht-hysterektomierte Frauen empfohlen ist, betonte Wildt. Die Östrogen-Monotherapie sei dagegen sogar mit einem verringerten Mammakarzinom-Risiko verbunden, komme aufgrund des Risikos für Endometriumkarzinome aber nur bei hysterektomierten Patientinnen in Betracht. Neben der Zusammensetzung der Therapie ist die Höhe des Brustkrebsrisikos außerdem von der Behandlungsdauer abhängig und reduziert sich nach Absetzen der Therapie.
2016 kommentierten Autoren um die USamerikanische Epidemiologin und Präventionsmedizinerin Dr. JoAnn Elisabeth Manson von der Harvard Medical School im Fachmagazin New England Journal of Medicine, dass die Vorteile einer HRT zur Behandlung mäßiger bis schwerer vasomotorischer Beschwerden bei Frauen ohne Kontraindikation – dazu gehören ein erhöhtes Brustkrebs- oder Herz-Kreislauf- Risiko – deren gesundheitliche Risiken insgesamt überträfen (sowohl einer Mono- als auch einer Kombinationstherapie!). Diese Ansicht wird heute von zahlreichen internationalen Fachgesellschaften geteilt, unter anderem der North American Menopause Society und der Endocrine Society. Doch obwohl es sich um die bis dato effektivste Therapie bei vasomotorischen Beschwerden handele, erhielten nur wenige Frauen eine HRT, so Manson und Kollegen. Ein Grund sind die noch immer weit verbreiteten Bedenken gegenüber der HRT, welche unter anderem auf die Ergebnisse der vieldiskutierten Studie Womens Health Initiative (WHI) zurückzuführen sind, die der HRT im Jahr 2002 ein gesteigertes Mammakarzinom-Risiko bescheinigt hatten. Auf das Anwendungsgebiet und die Patientenpopulation von heute sind die Ergebnisse aber nicht mehr eins zu eins übertragbar. » siehe Exkurs.
 
Nach der Krebstherapie: HRT nicht mehr ausgeschlossen
Absolute Kontraindikation für eine HRT ist weiterhin das Vorhandensein nicht-therapierter hormonabhängiger Malignome. Grundsätzlich sollte auch nach suffizienter Behandlung des Malignoms keine HRT erfolgen. „Hier lässt die Leitlinie allerdings etwas therapeutische Freiheit“, so Wildt in seinem Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der DMG. So kann nach Versagen nicht-hormoneller Therapien und bei erheblicher Einschränkung der Lebensqualität dennoch eine HRT erwogen werden – bestenfalls aber nur lokal (Empfehlungsgrad A).
Noch umstritten sei dagegen die in der neuen Leitlinie festgehaltene Aussage, dass eine kombinierte HRT über mehr als sechs Jahre das Risiko eines Endometriumkarzinom erhöhen kann, erklärte Wildt. Die zugrundeliegende Evidenz sei aber gering und es bestehe noch Forschungsbedarf.
Die insgesamt positivere Beurteilung der HRT in der aktualisierten AWMF-Leitlinie ist Wildt zufolge eine wichtige Verbesserung im Vergleich zu den früheren Empfehlungen. Denn die HRT hat sich nicht nur in der Therapie von Hitzewallungen als wirksam erwiesen, sie verringert auch das Risiko Osteoporose-assoziierter Frakturen signifikant (Level of Evidence 1a). In die S3-Leitlinie der DVO von 2017/18 wurde die Östrogen-Therapie bei Osteoporose mit dem höchsten Empfehlungsgrad aufgenommen und ist damit vergleichbar mit der Behandlung mit Bisphosphonaten oder Denosumab.
 

Kommentar

Seit Veröffentlichung der initialen Ergebnisse der WHI ist der Einsatz systemischer Hormontherapien in den USA um etwa 80 % zurückgegangen. Das hat auch dazu geführt, dass die neue Generation der medizinischen Hochschulabsolventen oft nicht mehr über die nötige Fachkompetenz verfügt, um über die hormonelle Behandlung von Wechseljahresbeschwerden zu beraten.

Exkurs
Ziel der WHI-Studien war es, die Langzeitvorteile und -risiken einer HRT mit konjugierten equinen Östrogenen und Medroxyprogesteronacetat zur Prävention chronischer Erkrankungen bei Frauen mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren zu untersuchen. Heute werden die Daten aber auf Frauen in ihren 40er und 50er Jahren übertragen, deren Hauptanliegen vasomotorische Beschwerden sind. Das sei aus den folgenden Gründen problematisch, warnen Manson et al.:
  • Das absolute Risiko unerwünschter Ereignisse im Zuge einer HRT ist bei jüngeren Frauen deutlich niedriger als bei älteren Frauen. So ist die Netto- Gesamtmortalität bei behandelten Frauen unter 60 Jahren neutral oder sogar vorteilhaft.
  • Inzwischen sind neue Hormonformulierungen für die Behandlung klimakterischer Beschwerden verfügbar, einschließlich solcher mit niedrigeren Dosierungen und transdermaler Verabreichung sowie bioidentische Hormonpräparate.

Da nicht-hormonelle Therapien meist weniger effektiv sind, hat sich seit Veröffentlichung der WHI-Ergebnisse eine Lücke in der angemessenen Behandlung von Wechseljahresbeschwerden aufgetan, die dem Markt Tür und Tor für ungeprüfte und unregulierte alternative Therapien geöffnet hat. Dagegen gibt es kaum eine medikamentöse Therapie, deren Risiken und Vorteile besser untersucht sind als die der HRT.

Manson JE et al., N Engl J Med 2016; 374(9): 803-6

ICD-Codes: N95.1
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