Dt. Ges. f. Gynäkologie und Geburtshilfe, Hamburg 2004

Gyn-Depesche 7/2004

Risiken der assistierten Reproduktion

Der diesjährige DGGG-Kongress stand unter dem Thema "Fortschritt ermöglichen - Grenzen erkennen" - angesichts der rasanten Entwicklung in Reproduktions- und Krebsmedizin und der ethischen Fragen, die z. B. Pränataldiagnostik, Schwangerschaftsabbruch oder Hormonersatztherapie aufwerfen.

Nach assistierter Reproduktion ist bei jeder zwölften und nicht wie sonst bei jeder 15. Schwangerschaft mit einer Anomalie zu rechnen, so Dr. Michael Ludwig, Hamburg. Zudem kommen die Kinder vorzeitig zur Welt und sind rund 200 g leichter. Kontrovers diskutiert wird, ob die Fehlbildungsrate bei intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) noch weiter erhöht ist. Eine deutsche Multicenterstudie ergab vor vier Jahren ein um 2% erhöhtes Risiko. Laut Ludwig könnte zwar die ICSI-Technik als solche der Grund dafür sein. Wahrscheinlich trägt die elterliche Unfruchtbarkeit aber ebenso dazu bei. Denn auch bei Paaren, die erst nach zwei Jahren vergeblicher Versuche ohne assistierte Reproduktion ein Kind erwarten, ist das Fehlbildungsrisiko erhöht. Laut einer Ulmer Studie ist das Fehlbildungsrisiko nach ICSI und konventioneller IVF etwa vergleichbar. In der Untersuchung an 434 nach ICSI und 356 nach IVF zur Welt gekommenen Kindern wurden in der ersten Gruppe bei vier pro 100, in der zweiten bei drei pro 100 Kinder schwere Fehlbildungen registriert. In beiden Gruppen wogen die Kinder jedoch deutlich weniger als normal gezeugte Kinder, berichtete Dr. Wolfgang Paulus, Ulm. Neben der 18. bis 22. hat sich in den letzten Jahren auch das Zeitfenster zwischen elfter bis 14. Schwangerschaftswoche (SSW) als wichtig zur Früherkennung fetaler Auffälligkeiten herauskristallisiert, erläuterte Prof. Eberhard Merz, Frankfurt. Methode der Wahl ist die sonographische Messung der Nackentransparenz (NT). Bei einem Wert oberhalb der 95. Perzentile besteht Verdacht auf eine Chromosomenanomalie. Kombiniert man die NT-Messung mit dem Alter der Mutter und den Markern PAPP-A (pregnancy associated plasma protein) und freies beta-HCG (humanes Choriongonadotropin), lässt sich die Entdeckungsrate von Chromosomenaberrationen bis auf 85% erhöhen. Neu ist die Einbeziehung der - sonographisch dargestellten - Nasenbein-Ossifikation, die die Entdeckungsrate für Trisomie 21 auf über 90% erhöht. Diese Methode kann laut Merz Anhaltspunkte dafür geben, ob eine invasive Diagnostik mittels Chorionzottenbiopsie sinnvoll ist. Eine Früh-Amniozentese wird heute wegen der erhöhten Komplikationsrate nicht mehr durchgeführt. Ist der NT-Wert erhöht, eine Chromosomenanomalie aber ausgeschlossen, schließt sich eine sonographische Fehlbildungsdiagnostik an. Merz wies darauf hin, dass die Qualitätsansprüche an den Untersucher bei der NT-Messung hoch sind. Entsprechende Weiterbildungskurse werden von der Fetal Medicine Foundation Deutschland angeboten. - Die sonographische NT-Messung ist keine Gesundheitsleistung im Rahmen der Schwangerenvorsorge, sondern wird als IGeL-Leistung durchgeführt. Die Versorgungsqualität von Patientinnen mit Eierstockkkrebs in Deutschland hat sich seit dem Jahr 2000 verbessert, ist aber noch lange nicht optimal, beklagteProf. Andreas du Bois, Wiesbaden. An einer Umfrage hatten sich 478 der 1123 angeschriebenen Kliniken beteiligt; ausgewertet wurden die Daten von 476 Patientinnen, was etwa einem Drittel aller im dritten Quartal 2001 behandelten Frauen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom entspricht. Beim Ovarialkarzinom im Stadium FIGO IIB bis IV ist die radikale Entfernung aller sichtbaren Tumorabsiedelungen mit der wichtigste Prognosefaktor. Allerdings zeigen die Umfrageergebnisse, dass dies nur bei 34% der Patientinnen gelang. Der Anteil kompletter Resektionen muss künftig auf 50% steigen, wie es in anderen Industrienationen bereits der Fall ist, forderte du Bois. "Im Mittel verbleibt bei 62% der betroffenen Frauen ein Tumorrest von maximal 1 cm, während in guten Zentren 90% der Patientinnen entsprechend operiert werden", so der Gynäkologe. Defizite gibt es auch bei der anschließenden Chemotherapie. Noch schlechter sieht es beim frühen Ovarialkarzinom im FIGO-Stadium I/IIA aus: Selbst bei Anlegen "weicher" Kriterien erhalten nur 43% der Patientinnen ein korrektes Staging sowie die adäquate Operation, lediglich zwei Drittel eine adjuvante platinhaltige Chemotherapie, den weltweiten Standard. Richtige Operation in Kombination mit richtiger Chemotherapie kommen in Deutschland nur bei 35% der Patientinnen zur Anwendung. Die therapeutischen Defizite haben Konsequenzen: Bereits nach zwei Jahren ist die Überlebensrate bei den Patientinnen, die nach internationalen Standards behandelt werden, um absolut 50% höher als bei Frauen, denen dies vorenthalten wird (87% vs. 34%). Die beste Chance auf optimale Therapie bietet ein Zentrum, das sich an klinischen Studien beteiligt. Wird die Therapie an einer Klinik gemacht, die nicht an Studien teilnimmt, steigt das Sterberisiko im Vergleich zu Studienzentren 1,7fach, unabhängig davon, ob die Patientin im Rahmen einer klinischen Studie behandelt wird. Die Kliniken, die am Qualitätssicherungsprogramm der Organkommission Ovar teilgenommen haben und Studien durchführen, sind nur etwa 20% der mehr als 1000 deutschen Kliniken, in denen Frauen mit einem Ovarialkarzinom behandelt werden.

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