Plazenta-Implantationsstörung

Gyn-Depesche 5/2022

Der Mythos vom invasiven Zottenwachstum

Neuere histopathologische Studien zeigen, dass dem Placentaaccreta- Spektrum wohl doch kein abnorm invasives Wachstum des Trophoblastengewebes zugrunde liegt.
Die Theorie der „invasiven Plazenta“ als Ursache von Placenta accreta, increta und percreta besteht seit fast 60 Jahren. Nach aktueller Datenlage gibt es jedoch keinerlei Evidenz für ein anomales Einwachsen des extravillösen Trophoblasten in tieferliegende Schichten der Uteruswand. Primär scheint sich das Placenta-accreta- Spektrum (PAS) infolge von Umbildungen der Uteruswand durch einen chirurgischen Eingriff, insbesondere durch eine Sectio caesarea, zu entwickeln. Das untere Uterussegment enthält weniger Muskelfasern und mehr elastisches Bindegewebe – deshalb ist es anfälliger für Narbendefekte als das obere Segment. Dies geht hier häufig mit einer Beeinträchtigung der normalen Dezidualisierung und dem Verlust von Teilen des Myometriums einher. Je größer und tiefer der Defekt ist, umso wahrscheinlicher ist die Implantation eines Blastozysten in diesem Bereich.
Nach neueren Erkenntnissen erlauben erst die pathologischen Veränderungen im Bereich der Narbe einen engeren Kontakt der Plazentazotten mit der Uteruswand und ihre Migration in die Nähe der Serosa. Aus Gewebeproben von Accreta-Läsionen nach der Geburt ergab sich bislang kein Hinweis auf eine Invasion von Chorionzotten über vorbestehende mikroskopische Verletzungen hinaus in das Myometrium bis zur Serosa oder weiter. Auch in Fallbeschreibungen von schwerer Placenta percreta blieb das Zottengewebe immer innerhalb der Sectio-Narbe. Durch das Einwandern des Trophoblasten in umgebende Spiral-, Bogen- und/ oder Radialarterien kommt es im intervillösen Raum zur Bildung von Lakunen mit turbulentem Fluss. In mehr als 70 % der Accreta-Gewebeproben fanden sich zudem starke Fibrinoid-Ablagerungen zwischen den Zotten und der darunterliegenden Uteruswand. Diese führen zu einer Ausdehnung des uteroplazentaren Übergangs, was die Ursache für die abnorme Adhäsion der Plazenta darstellen könnte.
Als zentrale Determinanten der meisten anatomischen Veränderungen durch eine Placenta accreta und der daraus resultierenden peripartalen Komplikationen sehen die Autoren eines aktuellen Experten-Reviews daher die Größe des Narbendefekts und die verbleibende Myometriumdicke in der Sectionarbe. Der Anstieg der Kaiserschnittrate in den letzten drei Jahrzehnten wird für die deutliche Zunahme des PAS verantwortlich gemacht. In einer Metaanalyse von 29 Publikationen mit Bevölkerungsdaten der Jahre 1988 bis 2015 ergab sich eine gepoolte Prävalenz von 0,17 % – was einer von 817 Entbindungen entspricht. Neben früheren Sectiones erhöhen auch Endometriumablationen oder Kürettagen das Risiko einer Plazentationsstörung. Nach Myomektomien scheint die PAS-Inzidenz dagegen nicht zu steigen. CW
Quelle: Jauniaux E et al.: New insights into the etiopathology of placenta accreta spectrum. Am J Obstet Gynecol 2022; 227: 384-91
ICD-Codes: O72.0

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