Durch den Anspruch, die Welt möglichst wirklichkeitsgetreu darzustellen, haben zahlreiche Maler der Renaissance in ihren Kunstwerken medizinische Besonderheiten festgehalten, die oft erst Jahrhunderte später benannt und beschrieben wurden. Eines der bekanntesten Beispiele ist der Babinski-Reflex, der sich bei Bestreichen des Fußrandes durch eine Streckung der Großzehe und eine gleichzeitige Plantarreflexion der übrigen Zehen äußert. Im Säuglingsalter ist der Reflex als physiologisch anzusehen.
Da die Abbildung des Babinski-Reflexes auf Renaissance-Gemälden bislang nicht systematisch untersucht wurde, haben Forscher:innen für eine Beobachtungsstudie 306 Christuskind-Darstellungen analysiert. Auf 90 Gemälden stellten sie eine „eindeutig aufstrebende Tendenz des Großzehs“ fest. Das Babinski-Zeichen war auf etwa 60 % der Gemälde der großen flämischen und rheinischen Meister erkennbar, darunter van der Weyden, Memling und Schongauer. Eine Erklärung ist der für diese Künstler charakteristische hohe Präzisions- und Realitätsanspruch. Dagegen tendierten italienische Renaissance-Maler wie Tiziano, Fra Angelico oder Masaccio dazu, ihre Objekte ästhetisch zu überhöhen und reproduzierten den Babinski-Reflex selten.
Gründe für die häufige Abbildung des Babinski-Reflexes waren laut den Autor:innen der „Meister-Student“-Effekt, demnach sich Lehrlinge in ihren Kunstwerken oft an ihren Meistern orientierten, sowie die in der Renaissance gängige Praxis des Kopierens künstlerischer Objekte. RG