Migräne

Gyn-Depesche 4/2018

Patientinnen zeigen nicht immer die typischen Symptome

Obwohl Migräne eine weit verbreitete Volkskranheit ist, findet sie im allgemeinen Gesundheitswesen nur wenig Beachtung. Sie richtig zu erkennen, ist auch nicht immer einfach, denn die Kopfschmerzattacken können in ihrer Frequenz und Schwere stark variieren. Umso wichtiger ist es daher, die charakteristischen Vorboten zu identifizieren und frühzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Migräne kann bereits in der Kindheit beginnen. Mit Einsatz der Pubertät steigt die Prävalenz bis etwa zum 35. bis 39. Lebensjahr an, und sinkt dann vor allem bei Frauen nach Erreichen der Menopause wieder ab. Generell sind Frauen etwa zwei- bis dreimal häufiger von Migräne betroffen als Männer.
Während die Migräne für einige Betroffene nur ein gelegentliches Problem darstellt, leiden viele Patienten an sehr häufigen und starken Kopfschmerzattacken, die nur schwer therapierbar sind. Etwa eine von 25 Frauen leidet an chronischer Migräne mit Kopfschmerzen an mindestens 15 oder mehr Tagen im Monat. Neben der Alltagsbelastung und dem Verlust an Lebensqualität ist eine Migräne mit einem erhöhten Risiko für weitere Schmerzerkrankungen verbunden, sowie mit erhöhtem Risiko für Asthma, Apoplex, Angststörungen und Depression.
 
Vorboten und Nachwirkungen
 
Typisch für Migräne ist, dass die Schmerzattacke bereits Stunden vor ihrem Einsetzen von verschiedenen Symptomen angekündigt wird, die nach Verschwinden des Schmerzes auch über Stunden weiter bestehen können. Klassische Beispiele sind Gähnen, Stimmungsänderungen, Lichtempfindlichkeit, Nackenschmerzen und Erschöpfung. Charakteristisch sind auch Aura-Symptome, wie Sehstörungen und andere Wahrnehmungsänderungen sowie Sprachstörungen und Schwindel. Kutane Allodynie kommt ebenfalls häufig vor.
Den Patienten ist der Zusammenhang dieser Symptome mit der Migräne oft gar nicht bewusst. Wenn man sie ein Schmerztagebuch führen lässt, erkennen sie aber oft schon bald ein Muster. Von einigen Patienten häufig als Auslöser genannte Lebensmittel oder Licht, Geräusche oder Gerüche, sind häufig auf eine gastrointestinale oder sensorische Empfindlichkeit im Vorfeld der Migräne-Attacke zurückzuführen.
 
Neurologische Funktionsstörung
 
Die unterschiedlichen und variablen Symptome erklären sich durch die komplexen Änderungen in der neurologischen Funktion, die bei einer Migräne stattfinden. Die ehemalige Hypothese, dass Migräne durch eine Gefäßdilatation verursacht wird, die sich aufgrund des Pulsschlags in einem pochenden Kopfschmerz äußert, ist mittlerweile eindeutig widerlegt.
 
Migräne hat viele Gesichter
 
Migräne wird oft deswegen nicht richtig diagnostiziert, da sich viele Ärzte zu stark auf die traditionellen Kriterien Schmerzintensität und -qualität stützen. Zwar sind Migräne-Schmerzen in der Regel stark, unilaterial und pulsierend, sie können aber durchaus auch nur mittelstark, bilateral und kontinuierlich ausgeprägt sein. Ein viel verlässlicheres Diagnosemerkmal sind die Begleitsymptome, allen voran Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Übelkeit und Funktionsverlust.
Bei Aura-Symptomen, kognitiven Einschränkungen, Schwindel und Erschöpfung kann eine Bildgebung des Gehirns sinnvoll sein. Wenn die Symptome graduell und vorübergehend sind, ist dies aber im Allgemeinen nicht nötig. Nackenschmerzen können ebenfalls ein Migräne-Symptom sein, werden aber oft als eine Manifestation gestörter Halswirbel missinterpretiert und ziehen häufig einen Rattenschwanz unnötiger Bildgebungen nach sich. Eine weitere oft gestellte Fehldiagnose ist Sinus-Kopfschmerz.
 
Akute und präventive Maßnahmen
 
Für die Linderung akuter Migräneschmerzen eignen sich Triptane. Ein Teil der Patienten klagt allerdings über eine zu langsame oder unvollständige Wirkung der Substanzen. Ergänzend oder alternativ zu Triptanen können nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) eingesetzt werden. Weitere Optionen sind Ergotamin-Präparate und i.v. Dihydroergotamine zur Behandlung refraktärer Migränepatienten. Je früher die Schmerzmittel bei einer Attacke eingesetzt werden, desto höher ist die Chance, dass sie auch effektiv wirken.
Ob eine präventive Migränetherapie angebracht ist, hängt neben der Schwere und Frequenz der Attacken (mind. einmal pro Woche oder an mind. vier Tagen im Monat) auch vom Ansprechen auf die Akutmedikation und weiteren Umstandsfaktoren ab. Alle verfügbaren Medikamente zur Prävention – Antihypertensiva, Antikonvulsiva und trizyklische Antidepressiva – sind anderen Indikationen entliehen. Zwar fiel der Nutzen dieser Optionen in klinischen Studien nur gering aus, doch wirken sie bei manchen Migränepatienten sehr effektiv. Allerdings sind Nebenwirkungen häufig und die Wirksamkeit scheint Patientenberichten zufolge bei einigen mit der Zeit nachzulassen. Ab einer Kopfschmerzfrequenz von mehr als 15 Tagen pro Monat (mindestens acht mal migränetypisch), kann zur Prävention der Wirkstoff Botulinumtoxin A eingesetzt werden. Für die Wirksamkeit nicht verschreibungspflichtiger Optionen wie Coenzym Q10, Riboflavin, Magnesium, Melatonin oder Pestwurz gibt es nur geringe Evidenz. Aufgrund ihrer guten Verträglichkeit werden sie dennoch häufig eingesetzt. Welche Optionen man für die präventive Therapie wählt, hängt vor allem vom Nebenwirkungsprofil und den begleitenden Umständen ab. Für Hypertoniker eignen sich beispielsweise Betablocker oder Candesartan, für Insomnie-Patienten trizyklische Antidepressiva, und für adipöse MigränePatienten Topiramat. Eine Alternative sowohl in der Akut- als auch Präventionstherapie ist die Neuromodulation. OH
Quelle:

Charles A: Migraine. N Engl J Med 2017; 277(6): 553-61

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