Plazentophagie

Gyn-Depesche 3/2018

Verspeisen oder doch vergraben?

Die willentliche Ingestion der Plazenta nach der Geburt ist bei Säugetieren nichts Ungewöhnliches – beim Menschen heutzutage aber schon. Einer anthropologischen Theorie nach hörte Homo erectus vor etwa zwei Mio. Jahren mit der so genannten Plazentophagie auf, weil das Feuer entdeckt wurde: Die Mutter und das Neugeborene sollten möglicherweise so vor der Aufnahme von durch das offene Feuer entstehenden Verbrennungstoxinen über die Plazenta geschützt werden. Aber das ist nur Theorie. In der heutigen Praxis fragen immer mehr Schwangere ihre Gynäkologen, ob Plazentophagie zu empfehlen sei. Prominente „Vorbilder“ tragen ein übriges zu dem (vor allem in den USA grassierenden) Hype bei. Aber welche wissenschaftlichen Daten gibt es – über die zahlreich vorhandenen Mythen hinaus – zur Plazentophagie? Kann man seinen Patientinnen das empfehlen? Die wissenschaftliche Sicht auf das Thema ist eindeutig.
Es ist bekannt, dass die Plazenta viel Prostaglandin und etwas Oxytocin enthält. Ratten, die ihre Plazentae fraßen, wiesen danach höhere Spiegel an Prolactin im Blut und niedrigere an Progesteron auf. Darüber hinaus fand man einen gewissen analgetischen Effekt der Plazentophagie bei Nagetieren. Biochemisch scheint die Plazentophagie – im Tiermodell – also durchaus Effekte zu haben. Verhaltenspsychologisch könnte bei Tieren das Fressen der Plazenta nach der Geburt aber noch einen ganz anderen Zweck erfüllen: Tiere eliminieren so die Spuren der stattgehabten Geburt, was Fressfeinden die Witterung und Verfolgung der geschwächten Mutter und des wehrlosen Jungen erschweren könnte.
 
Was wird wie verspeist?
 
Aber wie genau erfolgt die Ingestion der Plazenta eigentlich beim bzw. durch den Menschen? Das Plazenta-Gewebe kann roh, gekocht, gebraten, dehydriert, als Smoothie oder Tinktur oder verkapselt verspeist werden. Am häufigsten ist die Verkapselung nach Dehydrierung.
Dieses Verfahren wird heutzutage von kommerziellen Firmen gegen eine von der Patientin zu entrichtende Gebühr angeboten. Dabei wird die gefrorene Plazenta gespült, unnützes Gewebe soweit wie möglich entfernt, die Plazenta gesäubert, in Streifen geschnitten, dehydriert und dann bei 46 bis 71 °C mit Dampf behandelt. Schlussendlich wird das Gewebe in Gelatinekapseln zur oralen Applikation abgefüllt.
 
Mythen, aber keine wissenschaftlichen Belege
 
Wie steht es um die Wirkung beim Menschen? In einer Umfrage unter Gynäkologen zur Plazentophagie gaben 54% an, nicht ausreichend über die Effekte und Risiken informiert zu sein. 60% waren sich nicht sicher, ob sie Plazentophagie ihren Patientinnen empfehlen sollen. Und das zu Recht, denn es existieren keinerlei wissenschaftliche Belege für eine positive Wirkung. Die Verfechter reklamieren hingegen Effekte gegen postpartale Depression, für eine generell verbesserte Stimmung und mehr Energie, einen besseren Milcheinschuss und die Reduzierung postpartaler Blutungen. Alle Berichte über Wirkungen sind aber anekdotisch oder basieren auf Selbstbeobachtung. In der einzigen randomisierten und plazebokontrollierten Studie wurden Plazenta-Kapseln mit Plazebogabe verglichen und der Eisenstatus der Patientinnen ausgewertet. Die Eisenwerte waren in der Verumgruppe zwar tatsächlich höher, aber nicht statistisch signifikant (ohnehin trugen die Plazenta- Kapseln nur zur Deckung von 24% des täglichen Eisenbedarfs bei).
 
Infektions- und Toxizitätsrisiko
 
Kürzlich wurde eine Warnung der CDC (Centers for Disease Control and Prevention in den USA) zur Plazentophagie veröffentlicht. Hintergrund: Ein reif geborenes Kind musste wegen einer B-Streptokokkensepsis erneut stationär behandelt werden. Die Mutter hatte Plazenta- Kapseln eingenommen, deren Inhalt positiv auf den identischen Streptokokkenstamm getestet worden war – der erste Beweis einer Infektion durch Plazenta-Kapseln. Aber auch andere Infektionen wie z. B. HIV, Hepatitis oder Zika können (zumindest in der Theorie) nicht ausgeschlossen werden. Grund ist, dass die Aufbereitungsprozeduren der Verkapselungs- Anbieter nicht standardisiert sind und möglicherweise keine zur Keimabtötung ausreichende Erhitzung sicherstellen.
Neben Infektionen des Neugeborenen könnten aber auch Intoxikationen von Mutter und Kind eine Rolle spielen. In einer aktuellen Studie konnte das Schwermetall Cadmium in geringen Mengen in Plazenta-Kapseln nachgewiesen werden. Denkbar ist aber auch die Akkumulation von Schadstoffen aus Tabak, Alkohol oder Drogen. Ein indirekter Hinweis darauf ist, dass Mütter nach Plazentophagie häufig über Kopfschmerzen klagen.
 
Für die Histologie verloren
 
Es existiert eine Reihe von Indikationen, bei denen das Plazentagewebe post partum histologisch untersucht werden sollte, z. B. Schwangerschaftshypertonie, HELPP-Syndrom, intrapartales Fieber oder Sepsis, maternale Infektionen, Gestationsdiabetes, vorzeitiger Blasensprung oder unerklärte Blutungen. Die Erkenntnisse aus der Histologie können für weitere Schwangerschaften der betroffenen Patienten von Bedeutung sein. Wird die Plazenta von der Patientin zum Zwecke der Ingestion direkt mit nach Hause genommen, vertut sie sich die Chance auf weitere Diagnostik.
 
Eine deutliche Empfehlung ...
 
Zusammenfassend finden die Autoren keinen wissenschaftlichen Beweis, dass Plazentophagie irgendeinen klinischen Nutzen aufweist. Es bestehen aber Risiken. Demnach sehen sie auch keinerlei Notwendigkeit, Patientinen Plazentophagie anzubieten oder diese auf Nachfrage zu empfehlen – man sollte abraten. Weniger riskant und deshalb vielleicht eine gute Alternative ist der Brauch, die Plazenta unter einem Baum im Garten zu vergraben und diese Pflanze zusammen mit dem neuen Kind beim Wachsen zu begleiten ... CB
Quelle: Farr A et al.: Human placentophagy: a review. Am J Obstet Gynecol 2018; 218: 401.e1-401

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